Von Rudi Dengg
Es war so Mitte bis Ende der 80er Jahre.
Ich war beim Berglaufen unterwegs in Richtung Guggenalm. Da hörte ich vor mir ein fürchterliches Ächzen und Stöhnen. Was war das? Unglaublich – jemand versuchte mit einem Fahrrad auf einer ungeteerten Forststraße bergauf zu fahren und – womöglich auch wieder herunter?!
Ich hatte ihn schnell überholt und war mir klar, dass „Bergradeln“ ziemlicher Unsinn war.
Ein Jahr später konnte ich in Chamonix ein „Mountainbike“ – so nannten sich die Räder- testen. Natürlich musste ich sofort den im Vergleich zu meinem Rennrad extrem kleinen ersten Gang ausprobieren. Auf der ebenen Teerstraße dachte ich, dass man mit diesem Gang wohl die steilsten Hänge befahren kann. Bald ergaben sich auf einem Karrenweg erste richtige Test-Möglichkeiten. Natürlich fiel ich vom Rad. Auch bei weiteren Versuchen einen doch kleinen Anstieg zu bewältigen, musste ich absteigen. Und mir war noch mehr klar, daß das ziemlicher Unsinn war.
Irgendwann ergab sich daheim die Möglichkeit mit einem solchen Bergfahrrad zu fahren. Ich nahm mir die Forststraße zur Guggenalm vor. Die Anfahrt bis zum Holzplatz konnte ich noch fahrend erreichen. Aber kurz danach verließen mich die Kräfte in den Wadeln und ich musste alles schieben. Jetzt war es Glasklar – das war mehr als ziemlicher Unsinn.
Im nächsten Sommer war ich wieder beim Joggen auf der Forststraße zur Guggenalm unterwegs. Es war schon beim Abstieg, da wurde ich von zwei Mountainbikern überholt. Ich dachte naja, als Abstiegsmöglichkeit mag es ja in Ordnung sein. Aber vorher hinaufschieben ist doch ziemlicher Unsinn. Bei der Meinung blieb ich auch lange Zeit.
Ich glaube es war 1991. Meine Knie schmerzten immer nach dem Abstieg. Das kam wohl vom dauernden „Guggenalm-obi-laufen”. Man sagte sich mittlerweile, dass es möglich sei, mit dem Fahrrad ohne abzusteigen die Forststraße bis zur Guggenalm hinauf und hinunterzufahren.
Vielleicht musste man ja nur mal trainieren und die Wadeln a bisserl aufbauen?
Vielleicht fehlt es nur an Fahrtechnik und Gleichgewichtsgefühl?
Mein Vater hatte bereits so ein „Mountainbike“. Ich begann zu üben – und siehe da – es wurde immer besser. Ja es machte richtig Spaß. Ich war überrascht wie viele Wege und Forststaßen es bei uns gab. Ich wurde richtig süchtig neue Anstiege und Downhills zu erkunden und neue Routen zu finden. Hier konnte ich mein künftiges GPS (Global Positioning System = Navigationssystem – und nicht was andere denken) einrichten und im Gehirn abspeichern.
Marco und Dieter hatten schon eigene Mountainbikes. Sie waren vor allem auf ihre Radlständer stolz. Sie mussten das Bike nämlich bei Pausen dann nicht anlehnen oder auf den Boden legen.
Gemeinsam spornten wir uns zu Höchstleistungen an. Bereits im Sommer 1992 gelang uns die „Schinder“-Durchfahrung zum Brünnstein. Früh schon hatten wir erkannt, dass nicht nur Kondition, Kraft und technisches Geschick ausschlaggebend sind, sondern auch das Material eine wesentliche Rolle spielt. Bei Marco hat der Materialfanatismus bis ins heutige Jahrtausend angehalten. Für mich musste jetzt ein eigenes Radl her.
Durch Marco´s Trip in die USA konnte ich ein neues Spitzenbike importieren. Per Luftfracht kam das Prachtexemplar Cannondale 1000 Modell 92– ausgestattet mit 21-Gangschaltung, Aluminium-Pepperonigabel, Bio-Pace und natürlich komplette XT-Ausstattung – im Oktober bei mir an. Jetzt ist der totale Bike-Fanatismus ausgebrochen.
Selbst Dunkelheit und nasskaltes Novemberwetter konnten mich nicht davon abhalten, auf Tour zu gehen.
Marco dagegen musste mit dem Bikespaß bis zum nächsten Sommer warten.
Möglicherweise hatten einige Beamte am Münchner Flughafen etwas dagegen wenn man hochwertige amerikanische Mountainbikes unversteuert durch die Zollkontrolle schiebt. Vielleicht konnte man auch die Aussage: „unsere Räder sind gebraucht“ mit der blöderweise in der Hosentasche befindlichen Originalrechnung von vor zwei Wochen nicht logisch untermauern. Die bei Studenten vergünstigte Geldstrafe für Steuerhinterziehung wäre ja noch in Ordnung gewesen. Aber dass das geliebte, ja doch neue Superbike jetzt auch noch für fast ein Jahr beschlagnahmt wurde, bricht jedem Biker schier das Herz.
Im Sommer 1993 waren wir endlich mit allem ausgestattet, was Dienstagsradler brauchen. Wir hatten tolle Bikestrecken, tolle Kondition, tolle Motivation, tollen Durst, tolle Wadeln und tolle Radln. Aber Moment – etwas hatten wir noch nicht – einen Dienstag.
Wie kam´s:
Ja auch unsere Frauen waren toll. Ein echter Dienstagsradler braucht zwar keine Frau, aber man hatte sie halt. Sie waren auch nicht in dem Sinn toll, sondern sie hatten eher so etwas was bei uns des Öfteren Tollwut auslöste. Sie hielten uns nämlich immer mit irgendwelchen eigenen Terminen und unangenehmen Verpflichtungen vom Biken ab. Der Dieter jammerte schon damals: die Susi hat immer etwas anderes vor, wenn ich zum Radeln gehen will.
Da kam uns eine Idee: Wir brauchen einen festen (Diens-)Tag in der Woche, einen Tag der absolut fest steht und unverrückbar ist. Ein Tag, den uns keine Frau nehmen kann. Ein Tag der nur den Männern gehört. Ein Tag nur für Dienstagsradler. Und schon war der Dienstag geschaffen. Jeden Dienstag Punkt 18.00 Uhr treffen wir uns beim Dieter. Gefahren wird grundsätzlich immer – außer vielleicht im Hochwinter. Ob Regen oder Gewitterwarnung, Dunkelheit und Frost, nichts hält uns von unserem Dienstag ab.
Wenn man es genau nimmt, haben wir den Dienstag eigentlich unseren Frauen zu verdanken. Ach was, das hätten wir selbst auch hingebracht.
In den Anfangsjahren war unser Hauptdienstagsziel natürlich die „Dienstagsalm“ bei den Oberaudorfer Almen. Da freute sich schon immer unsere Annelies auf ihre Buben. Bei Schnidl-Brot, Weißbier, a Gletscherpris und manchmal an Enzian konnte man es dort sehr lange, ja meistens zu lange aushalten. Ab Einbruch der Dunkelheit fühlten wir uns wie die besten Downhiller überhaupt. Da kam es halt mal vor, dass man in der 3-minütigen Abfahrt vier Platten hatte. Stürze gab es zumindest von der „Dienstagsalm“ keine – höchstens dass man sich nach der 2. Einkehrkurve „Ledererhof“ wegen deutlicher Gleichgewichtsstörungen hinlegen musste. Es ist nicht überliefert, ob manch einer seine heimatliche Hütte eben wegen dieser Störungen oder absichtlich erst sehr spät fand.
Diese Tatsachen veranlassten die „Heimlichen Dienstagsgründer“ doch nochmal ein Wörtchen über diesen Tag mitzureden. Ihr Vorschlag war, den immer so gemütlichen Hüttenabend ins Tal zu legen. Schon für eine gemütliche Halbe hätten wir uns überreden lassen. Aber nein – unsere Weiberleid wollten sich wie immer gegenseitig übertreffen und kochten richtig fein auf. Ein echter Dienstagsradler braucht zwar keine Frau, aber die Weiberleid denken das halt. So kam es des Öfteren vor, dass der tischdeckende Dienstagradler sofort von seinem Weibe einen Anschiss bekam, wenn er nicht mindestens Untersetzer, Serviette und Salatschälchen zusätzlich mit auftrug oder das gesamte Besteck unsortiert in die Mitte des Tisches legte.
Eines Muss man uns allerdings zugestehen: So gemütlich es nach dem Radeln zugeht, so ungemütlich kann es währenddessen sein.
Da kommt es vor,
· dass wir um sechs Uhr in eine Richtung fahren und um neun Uhr immer noch nicht der heimatliche Kurs eingeschlagen ist.
· dass wir uns um 22.30 Uhr erst die 1. Halbe aufmachen, weil die Tour so lang war
· dass wir von wilden Kühen verfolgt werden
· dass man sogar Kuhfladen essen würde wenn sie nahrhaft wären, nur um den Hungerast zu überwinden
· dass unterwegs jemand in den Bach fällt und eine Stunde nass nach Hause fahren muss
· dass man als zuletzt oben Ankommender den ganzen Abend verarscht wird
· dass jemand vier Platten hat und die Reserveschläuche ausgehen
· dass man sein Bike eine Stunde hinunter tragen muss, weil der Weg doch nicht fahrbar ist
· dass man 3 Stunden im Regen fährt, weil es einfach nicht aufhören will
· dass man um 18 Uhr schon bei Dunkelheit startet, weil die Zeit schon umgestellt worden ist
· dass man beim Dritten Versuch die „Wasserrinne“ zu befahren zum Dritten mal auf die Schnauze fällt
Aber das alles ist noch nichts gegen die harten Kopf an Kopf Dienstagsduelle. Ist das Ziel bekannt, wird kräftig Gas gegeben (und das ist meistens so). Wer zurückbleibt bekommt Jammerpunkte und riskiert eine Medaille. Und wer will das schon im Internet stehen haben. Außerdem will man sich ja nichts schenken. Und so wird Dienstag für Dienstag gekämpft bis zum Umfallen.
Um bestehen zu können, muss man richtig hart trainieren. Aus diesem Grund haben wir begonnen am Wochenende Mountainbike –Marathons zu fahren. Denn nur hier kann man für den Dienstag optimale Trainingseffekte erzielen. Seit dieser Zeit gibt es am Dienstag in den trainingsintensiven Monaten des Jahres für manchen Radler höchstens eine Leichte Weiße. Denn bereits eine Zweite könnte sich ja schon konditionsmindernd auswirken. Andere dagegen glauben partout, dass das Bier das Getränk der Biker ist und saufen so viel es nur geht.
Chronik der Dienstagsradler:
Dieter / Marco / Rudi: seit 1993
Jan: 1994 und 1995 und ab 1999
Robert / Flori: seit 1997
Helmut: seit 1998
Peter / Wasti: seit 1999
Scheinbar haben es unsere Frauen im Jahre 1993 sehr gut mit uns gemeint – da haben wir auch gleich noch den Männerausflug erfunden. Seit dem geht es einmal im Jahr über ein Wochenende in eine schöne Gegend in der es viele Mountainbiketouren gibt. Natürlich muß es dort auch gute Lokale mit feinen Getränken zum Durst löschen geben (zum Verständnis: wir trinken in den Lokalen natürlich kein Isostar oder sowas).
Kurzübersicht der alljährlichen Männerausflüge:
· 1993 – Kiefersfelden – Achensee – Schatzberg – Kiefersfelden
· 1994 – Südtirol: Drei-Zinnen und Travenanzestal
· 1995 – Gardasee: nur Brione – damals noch typisch für Marco und Dieter
· 1996 – Engadin: Val´d Uina – Cruschetta-Paß und Davos – Weißfluhjoch
· 1997 – Brixen: Schlern und Plose
· 1998 – Bruneck: Val di Fanes und Kronplatz
· 1999 – Gardasee: Palla della Stivo und Tremalzo
· 2000 – Meran: Streitweideralm und Eisjöchl – leider verregnet daher „unmöglich“
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… und demnächst hier zu lesen: “Die Story 2 – oder wie alles weiter ging …”